Der Vater des „Dreifachen Mitmachen“-Mantras, Peter Schawerda (1940-2025), ist von uns gegangen.
Landeshauptmann Erwin Pröll: „Peter Schawerda war ein ganz Großer.“

Ein persönlicher Nachruf von Holger Magel

Entsprechend seinem letzten und auch hier wieder sehr bewussten eigenständigen Willen wurde am 14. Mai 2025 im niederösterreichischen Langenzersdorf der wirkliche Hofrat i.R. Dipl.-Ing. Peter Schawerda im Familienkreis verabschiedet. Seine fünf Kinder trugen dabei Passagen aus der in den letzten Krankheitsjahren noch von ihm selbst geschriebenen wahrlich spannenden Biographie vor. Die öffentlich zugängliche Seelenmesse wird heute, am 27. Mai 2025, ganz in der Nähe von seiner Geburtsheimat Sooß in der Kirche St. Helena der weltberühmten Gemeinde Baden bei Wien gelesen.

Wohl jeder bayerische, ja jeder europäische Landentwickler und Dorferneuerer kennt das Mantra „Mitmachen wollen, mitmachen können, mitmachen lassen“, das die Grundphilosophie jeder Partizipation und aller Bürgerbeteiligungsprozesse darstellt und Auslöser und wirkmächtige Erklärung für die Gründung der bayerischen Schulen der Dorf – und Landentwicklung (SDL) war. Mitmachen können kann man nur, wenn man dazu auch fähig ist beziehungsweise gemacht wurde, z.B. durch Seminare an den SDL. Genau das hat erst dieser Tage die Akademiespitze dem Vorsitzenden des „Runden Tisches Bürgerentscheid“ MP a.D. Dr. Günther Beckstein mitgeteilt.

Wer aber von der jetzigen Generation kennt noch den Urheber des Mitmach- oder Teilhabe-Mantras, den Hofrat Peter Schawerda, den ehemaligen Technischen Leiter oder Chefingenieur der niederösterreichischen Agrarbezirksbehörde?

Er war geprägt von den Konflikten der Flurbereinigung und agrarischen Operationen und rebellierte gegen das damals noch recht hoheitliche Auftreten auch seiner Behörde gegenüber den Grundeigentümern und Bauern und wollte es ebenso wie die wenig umweltfreundliche Praxis der Bodenordnung ändern: Er wurde zum sanft und oft tiefgründig argumentierenden und beharrlich vorgehenden „Revoluzzer“. 1988 veröffentlichte er seine auch in Bayern interessiert zur Kenntnis genommene „Neue Planungsphilosophie für den ländlichen Raum“ in der Österreichischen Zeitschrift für Vermessung und Photogrammetrie. Hierin fordert er erstmals den dreifachen Teilhabe-Kanon. Das gefiel nicht jedem; auch sein als diplomierter Kulturtechniker an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) erworbenes ganzheitliches Verständnis der Kulturlandschaft als schützenswertes Gut im mehrfachen Sinne, für landwirtschaftliche Nutzung wie auch für Naturschutz, Erholung, Landschaftsgenuss und ästhetische Schönheit lag noch nicht im Mainstream und schon gar nicht im Denken seiner Altvorderen und des Bauernverbandes.

Unvergessen sein Vortrag bei der von Nationalrat Dr. Sixtus Lanner organisierten Tagung 1984 in Hochleithen im Weinviertel, wo er die Fachwelt aufhorchen ließ mit seinen Ideen zu einer umweltverträglicheren Flurneuordnung inklusive Berücksichtigung von manchen Aspekten der Geomantie und von Feng Shui (was dann später auch in Bayern versucht wurde). Das waren völlig neue Töne in der und für die Welt der klassischen Kommassierer. Dieser Blick in andere Welten und Kulturen beschäftigte ihn auch weiterhin. Er prägte auch seinen leidenschaftlich wahrgenommenen Lehrauftrag und seine vielfach mit philosophischen Inhalten unterlegten Vorlesungen, die nach dem plötzlichen Tod des Ordinarius Wolf Juergen Reith 1989 leider abrupt zu Ende gingen. Seine Hochschulvorlesungen wie überhaupt all seine Vorträge in Österreich und Deutschland waren für jeden Zuhörer ein fachlicher Gewinn. Gewinn überdies auch wegen seiner österreichisch-melodiösen, vom milden Klima seiner Weinhauerheimat geprägten einschmeichelnd sanften Stimme – begleitet von einem smarten, bisweilen auch leicht verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Entsprechend war auch sein Verhandlungs- und Diskussionsstil. Nie forsch-dominant auftretend und hart fordernd, sondern immer geschmeidig zurückhaltend-abwartend und dann konziliant antwortend: „Ich stimme Ihnen ja grundsätzlich zu, aber bedenken Sie doch auch noch diese und jene Aspekte.“ So ging es los, und am Ende hatte Peter sein Gegenüber meistens überzeugt.

Peter wurde auch zum Glücksfall in der Jury zum Europäischen Dorferneuerungspreis, nicht nur wegen seiner stets ausgleichenden und vermittelnden Art, sondern auch wegen seines stets materielle und immaterielle Aspekte einschließenden Denkens, Sehens und Fühlens. Sein idealer „Bruder im Geist“ war hier der erste Vorsitzende der Jury Univ.-Prof. Wilhelm Landzettel, der ZEN-geschulte Vater der niedersächsischen Dorferneuerung und (zusammen mit Erika Haindl) Verfasser des Klassikers „Mensch-Dorf-Landschaft. Heimat – ein Ort irgendwo?“. Seine ideale, ja kongeniale Chefin im Alltagsbetrieb der Europäischen ARGE war deren höchst effiziente Geschäftsführerin Theres Friewald-Hofbauer. Gerade auch wegen der harmonischen Zusammenarbeit mit ihr (siehe Nachruf von Theres Friewald auf Peter Schawerda auf dieser webpage) blieb Peter gerne und lange der ARGE verbunden.

Schawerda war ein Vorbild auch in Bayern
In meiner Geburtstagsgratulation zum 80. Geburtstag ( https://www.akademie-bayern.de/2020/11/30/die-akademie-gratuliert-peter-schawerda-zum-80-geburtstag/) habe ich schon darauf hingewiesen, dass es die Fachtagung der Bayerischen Flurbereinigungsverwaltung 1982 in Lindau (mit Theo Waigel als Festredner) war, die mich mit Peter Schawerda zusammenbrachte. Ich präsentierte bei dieser Tagung den teilweise noch wenig begeisterten, zumindest höchst skeptischen eigenen Flurbereinigungskollegen das neue mit Fritz Auweck entwickelte Konzept der dreistufigen Landschaftsplanung, und Peter Schawerda sah sich darin bestätigt und erkannte die Chance für seinen geplanten neuen Weg einer ökologischeren Flurbereinigung in Niederösterreich. Er hatte Visionen, die noch zu wenig unterstützt wurden. Er wollte natürlich auch die junge bayerische Dorferneuerungsidee nach Österreich bringen. Das ist ihm zwar gelungen durch das Vermitteln des Kontakts von Holger Magel mit (dem damaligen) Landeshauptmann-Stv. Erwin Pröll, aber die Zuständigkeit für die Dorferneuerung blieb seiner Agrarbezirksbehörde (ABB) verwehrt – im Gegensatz zu seinem Freund und Flurbereinigungskollegen HR Otmar Kronsteiner, dem das in Tirol gelang. Fairerweise muss man aber sagen: In Tirol war Landeshauptmann Wallnöfer zugleich Agrar-„Minister“ und wollte die ebenfalls von Bayern übernommene Dorferneuerung in seinem Ressort haben. Peters ABB dagegen war ungeachtet der fehlenden politischen Power des Landesrats Blochberger halt auch noch zu agrarisch und zu wenig aufgeschlossen für neue außeragrische ländliche Aufgaben. Selbst der inzwischen eingeführte Begriff Landentwicklung, den Peter wie manche seiner engsten Mitarbeiter nach deutschem Vorbild unermüdlich gepuscht haben, stieß bei den juristischen Leitern der Agrarbehörden lange Zeit auf Granit und Totalablehnung.

Peter war oft seiner Zeit voraus: Unvergessen bleibt – angesichts entsprechender Untersuchungen in Österreich Anfang der 1990er Jahre – seine für- und vorsorgliche Warnung an mich, rechtzeitig für eigene Effizienzuntersuchungen der Bayerischen Flurbereinigungsverwaltung zu sorgen, anstatt zu warten, bis das Parlament, der Oberste Rechnungshof oder das Finanzministerium entsprechende externe und a priori auf Personal- und Aufgabenabbau orientierte Untersuchungen z.B. durch Beratungsfirmen wie Kienbaum in Auftrag gibt. Er hatte so recht – aber die damalige erfolgsverwöhnte bayerische Flurbereinigungsspitze war sich zu sicher und nahm seine Warnungen leider nicht ernst. Das Unheil nahm wenig später seinen Verlauf …

Nach einigen internen Querelen und dem Abschied von der Flurbereinigung fand Peter im landwirtschaftlichen Bildungsbereich in Tulln eine zweite berufliche Erfüllung. Auch hier beeindruckte er wieder durch gekonnte Rhetorik und umfassendes Wissen; man könnte auch sagen, er war halt grundständig gebildet und dank ständiger Reflektion enorm gescheit.

Der Dorferneuerung und Landentwicklung, die er ex officio nie selbst durchführen konnte, blieb er aber treu. Nach seiner Pensionierung erlebte er nämlich eine dritte Erfüllung: Er war noch viele Jahre als beliebter Consulent bei der Europäischen ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung hochanerkannt tätig, vor allem auch wieder in der Jury, was ihm viele Reisen in europäische Länder ermöglichte. Und überall erklärte er geduldig und glaubwürdig, dass die Beteiligung der Bürger entsprechend seinem Mitmach-Kanon unverzichtbare Voraussetzung sei für das Gelingen jeder nachhaltigen Gemeinde-, Dorf- oder Landentwicklung. Als Kulturtechniker lagen ihm bei den Jurysitzungen auch die Themen zukunftsfähige Landwirtschaft, Schutz des knappen Bodens und nachhaltige Landnutzung (heute ein globales Megathema) am Herzen. Auch hier war er ein Pionier, der deren Bedeutung früher als andere erkannte. Es war deshalb nur konsequent, dass Peter Schawerda 2008 vom Österreichischen Kuratorium für Landtechnik und Landentwicklung (ÖKL) mit der Goldenen Ehrennadel ausgezeichnet wurde.

Ein Mann der ersten Akademiestunden
Entsprechend seinem wachen und offenen Gespür erkannte der ab 1982 regelmäßige Bayernbesucher Peter Schawerda auch sofort die Chancen der im Mai 1988 gegründeten Bayerischen Akademie Ländlicher Raum. An der Teilnahme zur Gründungsversammlung noch verhindert, war er zwei Monate später bei der ersten Mitgliederversammlung am 22.Juli 1988 in München dabei, wo er zum Ordentlichen Mitglied berufen wurde. Es ist ein schöner, fast schon bezeichnender Zufall, dass an diesem Tag mit ihm der Mitschöpfer der damals längst arrivierten neuen dreistufigen Landschaftsplanung in der bayerischen Flurbereinigung Prof. Fritz Auweck ebenso wie Bürgermeister Peter Nindl, Salzburgs Modelldorferneuerer und Gastgeber der unvergessenen Neukirchner Tagungen, darunter der ersten zum Thema „Was braucht das Dorf der Zukunft? Philosophie oder Geld – oder beides“ im März 1988 (mit Alois Glück als Hauptredner), ebenfalls Mitglieder der Akademie wurden.

Peter Schawerda war es zu verdanken, dass er seinen damals eher noch zweifelnden bayerischen Kollegen die Botschaft vermittelte, dass endogene Entwicklung auch mit wenig(er) Geld, aber mit umso mehr Ideen, Initiativen, ja „Spinnereien“ selbst in peripheren Regionen möglich sei. Dazu brachte er zum Sommerkolloquium der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum „Ein neuer Weg: Mehr Wertschöpfung durch Regionalmarketing und Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe“ am 3. Juli 1998 den damals schon legendären und das Tagungsthema glaubwürdig verkörpernden Waldviertelbeauftragten und Direktor der Landwirtschaftlichen Berufs- und Fachschule Edelhof, Adi Kastner, aus Niederösterreich nach Polling. Unvergessen die Reaktion des damaligen Bayerischen Landwirtschaftsministers Reinhold Bocklet. Aus anfänglicher Skepsis gegenüber diesem so eigenwilligen und selbstbewussten Forstwirt (einige seiner Lieblingssprüche: „Kopf in den Wolken, die Füße am Boden“ oder „Jede Region kann eine Gunstlage sein, man muss nur wissen, wofür“) wurde zunehmend Aufgeschlossenheit und Zustimmung. Selbstredend, dass Peter Schawerda und Adi Kastner ziemlich enge Freunde waren.

Peter Schawerda war auch fortan immer wieder aktiv in der Bayerischen Akademie tätig – ein Pendant in Österreich gelang ihm nicht. Hieran waren die Flurbereinigungsverwaltungen (Agrarbehörden) nicht recht interessiert und die Raumplaner zu stark. Zudem gab es ja bereits, wenn auch mit anderen Strukturen, die Arge Ländlicher Raum von Sixtus Lanner und die Europäische ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung unter niederösterreichischer Führung (LH Erwin Pröll). Immerhin war Peter Schawerda zusammen mit Freund Holger Magel maßgeblich am Zustandekommen dieses neuen europäischen Zusammenschlusses beteiligt und a priori tätig.

Gründungspräsident der Europäischen Arge Landentwicklung Erwin Pröll: „Ich habe Peter viel zu verdanken.“
Dieser Nachruf wäre unvollkommen, wollte man nicht auch auf das vorbildliche Familienleben und die stete Sorge des Vaters um das Fortkommen seiner Kinder eingehen. Mit seiner starken Frau Rosa, ebenfalls eine ingenieurdiplomierte Alumna (Landschaftspflegerin) der BOKU, war er unermüdlich in vielen lokalen umweltorientierten, caritativen (Flüchtlingshilfe) und entwicklungspolitischen Projekten tätig.

Die Bayerische Akademie hat einen ihrer Besten verloren: Wir verneigen uns vor seinem Lebenswerk und danken ihm für all seine vielen Anregungen. Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll, einst sein höchster Landeschef, Gründungs- und langjähriger Präsident der Europäischen ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung, zum Ableben von Schawerda: „Ich habe Peter in dankbarer Erinnerung. Ich verdanke ihm sehr viel. Ein ganz Großer ist von uns gegangen.“

Auch der Autor dieses Nachrufs hat Peter Schawerda unglaublich viel zu verdanken. Holger und Anselma Magel wie auch viele Akademiemitglieder und Kollegen der Ländlichen Entwicklung in ganz Europa haben einen ganz besonderen Menschen und Freund verloren.

Er möge in Frieden ruhen.

Im Rahmen des „Internationalen Kongresses zur Erneuerung und Entwicklung der Dörfer von 8. bis 10. Mai 2025 in Posen, der größten Veranstaltung im Rahmen der polnischen EU-Ratspräsidentschaft, mit mehr als 4.000 nationalen wie internationalen BesucherInnen, über 50 hochkarätigen Vortragenden aus weiten Teilen Europas und zahlreichen regionalen Ausstellern, die vom polnischen Landwirtschaftsministerium ausgerichtet wurde, bekam auch die Europäische ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung Gelegenheit sich im Plenumssaal zu präsentieren und ihre Positionen vorzustellen.

Geschäftsführerin Theres Friewald-Hofbauer nutzte die große Bühne, um über Ziele, Intentionen und Aktivitäten der ARGE zu informieren und unterstrich dabei auch die bereits seit vielen Jahren bestehenden und gut gepflegten Beziehungen zu mehreren Organisationen, Institutionen und Woiwodschaften in Polen.

Nach einem kurzen Überblick über die Geschichte der ARGE, die 1989 als unbürokratischer Zusammenschluss von mehreren Regionen und Ländern auf Initiative von Bayern, Baden-Württemberg, Niederösterreich und der Steiermark, gegründet wurde, und seit 2007 als eingetragener Verein mit derzeit 21 Mitgliedern aus verschiedenen europäischen Regionen, Ländern und Organisationen als Plattform des internationalen Austausches, der Zusammenarbeit und des Wissenstransfers aktiv ist, widmete sie sich insbesondere auch den Herausforderungen, denen sich Dörfer und ländliche Räume aktuell gegenübersehen: Von Klimawandel und seinen katastrophalen Auswirkungen, über die Verknappung von Rohstoffen und Energie, den demografischen Wandel und seine dramatischen Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft – nicht nur betreffend die Überalterung, sondern auch die zunehmende Heterogenität der Bevölkerung, was zu unterschiedlichen, oft auch gegensätzlichen Ansprüchen an den Lebensraum führe – bis zur Digitalisierung, die längst alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche erfasst hat, manche überfordere, aber auch eine große Chance gerade für die Regionen abseits der Zentren biete. Weitere gesellschaftliche Knackpunkte verortete sie in den Bereichen Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln, Energie, Gütern und Dienstleistungen sowie in gesellschaftlichen Brüchen und Spaltungen, die bereits tiefer gehen würden, als dies Gesellschaft und Politik wahrhaben wollen.

Diesen Herausforderungen positiv und nachhaltig entgegenzutreten und sie zu bewältigen, dafür brauche es nicht nur rasches Reagieren und vorausschauendes Agieren, sondern auch ein starkes Miteinander auf lokaler, kommunaler, regionaler und europäischer Ebene.

Die ARGE sei hier ein Mittler, der internationale ExpertInnen und lokale AkteurInnen miteinander vernetze und nicht zuletzt im Rahmen des im 2-Jahresrhythmus stattfindenden Europäischen Dorferneuerungspreises auch jene Dörfer, Regionen und Kommunen vor den Vorhang bitte und auszeichne, die sich der Vielzahl an Herausforderungen, denen sich ländliche Räume gegenüber sehen, mit besonders innovativen Antworten und resilienzbasierten Entwicklungen stellen.

Die Einladung, sich mit der Europäischen ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung zu vernetzen und die Vorteile einer Mitgliedschaft in der ARGE bekräftigte auch der Stv.-Vorsitzende der ARGE, Ryszard Wilczinsky, in einem anschließenden Statement.

Während der Konferenz fand im Gebäude der „Poznań International Fair“ auch eine sehr gut besuchte Ausstellung statt, bei der sich Regionen und Dörfer eindrucksvoll mit ihren Produkten, Leistungen, touristischen Angeboten, Kunsthandwerk und auch künstlerischen Darbietungen präsentieren konnten. Auch die ARGE war hier mit der Publikation „Rural Roadmap“ und einem Image-Film am Stand des PSORW (Polnisches Netzwerk für ländliche Erneuerung und Entwicklung) vertreten.

Neben dem fachlichen Austausch und Input waren Konferenz und Ausstellung in Posen auch wieder eine wunderbare Gelegenheit zu Begegnungen, um neue Kontakte zu knüpfen und bestehende freundschaftliche Verbindungen zu erneuern und zu vertiefen.

Geschäftsführerin Theres Friewald-Hofbauer informierte über Gründungsmotive, Intentionen, Strukturen und Aktivitäten der Europäischen ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung, wobei sie die bislang 30 Studienfahrten und 18 Wettbewerbe um den Europäischen Dorferneuerungspreis mit insgesamt 440 Teilnehmern als Highlights der 36-jährigen Vereinsgeschichte hervorhob. Denn diese seien in besonderer Weise geeignet, den internationalen Erfahrungsaustausch, den Wissenstransfer, das Selbstbewusstsein der DorfbewohnerInnen und die Inspiration zu neuen Projekten zu fördern. Darüber hinaus hätten sie das Potenzial, herausragende Leistungen der Landbevölkerung sichtbar zu machen sowie das europäische Miteinander und die Wahrnehmung der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der ländlichen Regionen zu stärken.

Ryszard Wilczynski erklärte, dass in seiner Region, der Woiwodschaft Oppeln, etliche Herausforderungen, wie etwa das Thema Innenentwicklung oder die Beteiligung der BürgerInnen, erst durch den Austausch mit den Mitgliedern der ARGE erkannt und in Angriff genommen wurden. Darüber hinaus sei die ARGE eine wahre Fundgrube für zielführende Lösungsansätze und viele neue Projektideen, weshalb er den polnischen Woiwodschaften eine Mitgliedschaft in der ARGE wärmstens empfehle. Auch Niederschlesiens Delegation, angeführt von Natalia Gołąb, Mitglied des Woiwodschaftsrates, und Łukasz Kubiak, Vorsitzender des Polnischen Netzwerks für ländliche Erneuerung und Entwicklung (PSORW), betonten, wie sehr sie von der Zusammenarbeit mit der ARGE profitieren. Oppeln zählt ebenso wie Niederschlesien und PSORW zu den 21 offiziellen Mitgliedern der Europäischen ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung.

Das Get-together erwies sich als eine inspirierende Begegnung, bei der die spezifischen Probleme der polnischen ländlichen Räume ebenso wie die gewaltigen Aufgabenstellungen und aktuellen Themen, mit denen die europäischen Landgemeinden gegenwärtig konfrontiert sind und denen sich die ARGE in den kommenden Monaten schwerpunktmäßig widmen wird, diskutiert wurden. Als zum Abschluss gemeinsam mit einem Glas Wein auf die Zukunft europäischer Landgemeinden angestoßen wurde und dabei zahlreiche Fragen zur ARGE und ihren Aktivitäten gestellt wurden, verstärkte sich der Eindruck, dass es auch ein geeignetes und vielversprechendes Event war, um das MultiplikatorInnen- und BürgerInnennetzwerk, als das sich die Europäische ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung versteht, zu vergrößern und zu stärken.

Bereits am Nachmittag waren Mitglieder der Vollversammlung und des ExpertInnenbeirates der ARGE zusammengetroffen, um den im März 2024 in Lichtensteig, Schweiz, gestarteten Dialogprozess zur zeitgemäßen Weiterentwicklung des Vereins und seiner Aktivitäten fortzusetzen. Im Mittelpunkt standen Beratungen über strukturelle Neuerungen und inhaltliche Vertiefungen des Wettbewerbes um den Europäischen Dorferneuerungspreis 2026, der im Spätsommer des laufenden Jahres ausgelobt wird. Sie sprachen sich deutlich dafür aus, innovative und kreative Strategien zu forcieren, angesichts der Bedrohungen durch Klima- und demografischen Wandel der Resilienz der Landgemeinden besondere Aufmerksamkeit zu schenken und ein Motto zu wählen, das in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung und weit verbreiteter Zukunftsängste das Miteinander in einer Gemeinschaft, das die Individualität der einzelnen respektiert und die Lebensfreude zu mehren vermag.

Die beiden Zusammenkünfte fanden im Vorfeld eines Kongress des polnischen Landwirtschaftsministeriums, der vom 8.-10. Mai im Rahmen der polnischen Ratspräsidentschaft in Posen abgehalten wurde und sich der Erneuerung und Entwicklung der Dörfer und ländlichen Räume widmete, statt.

Der große und weithin bekannte Dorferneuerungspionier Peter Schawerda ist am 3. Mai 2025 nach einem erfüllten und leidenschaftlich gerne gelebten Leben im Alter von 84 Jahren im Kreise seiner Lieben entschlafen. Die Verabschiedung fand am 14. Mai 2025 gemäß seinem Wunsch im engsten Familien- und Freundeskreis statt, weshalb auf Bitte seiner Familie mit der Todesnachricht bis heute zugewartet wurde. Die Seelenmesse wird am Dienstag, dem 27. Mai 2025, um 17.00 Uhr, in der Filialkirche St. Helena in 2500 Baden, Helenenstraße 96, gelesen.

Mit Hofrat DI Peter Schawerda verlieren wir einen Vorreiter und Vordenker, dem Dorferneuerung und Landentwicklung ein Herzensanliegen waren, dem er sich mit all seinem reichen Wissen über ländliche Räume, mit mutigen und unkonventionellen Ideen und mit seiner Fähigkeit, Zusammenhänge zu begreifen, nicht nur gewidmet, sondern hingegeben hat. Er zählt zu den Gründungsvätern der Europäischen ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung und ist einer der wesentlichen Initiatoren des Europäischen Dorferneuerungspreises, den er als Juror von 1990, also von Beginn an, bis 2018 begleitet und mit seiner überragenden fachlichen Kom­petenz, der ganzen Kraft seiner großartigen Persönlichkeit und seinem bedingungs­losen Bekenntnis zu einem europäischen Miteinander – wie niemand sonst – geprägt und bereichert hat.

Mit Peter Schawerda verlieren wir einen beispielgebenden und wundervollen Menschen, der es verstand, andere zu inspirieren und zu motivieren, ihren Blick zu schärfen, ihnen neue Perspektiven zu eröffnen und ihren Horizont zu erweitern – egal, ob sie ihm im Rahmen seines beeindruckenden Berufslebens, seines vielfältigen ehrenamtlichen Engagements oder privat begegnet sind. 

Mit Peter verlieren wir einen einzigartigen, berührenden und bewegenden Wegbegleiter, der manchen von uns ein Freund geworden ist, der uns ans Herz gewachsen ist und den wir schrecklich vermissen. Das Tröstende aber ist, dass sein Vermächtnis weiter wirkt und er in unseren Erinnerungen weiterlebt.

Auf das polnische Dorf haben besonderen Einfluss:

  • europäische Integration,
  • Globalisierung,
  • Angleichung (in allen Bereichen) – Verlust an Verschiedenheit, Popularisierung der städtischen Muster und der Geschmacklosigkeit,
  • chaotische Entwicklung der Orte und Vororte, ungeeignete und falsche Raumplanung,
  • Wirtschaftsflucht -hauptsächlich junger Menschen,
  • Industrialisierung der Landwirtschaft, Verlust dörflicher Strukturen,
  • Dominanz durch dir politische Gemeindeebene, Verlust der Selbstbestimmung und verwaltung, Identitätsverlust,
  • Schwächung der bürgerlichen Gesellschaft, das Verlorengehen des dörflichen Lebens in historischer Bedeutung,
  • fehlende staatliche Steuerungsmechanismen zur Dorfentwicklungspolitik und fehlende Instrumente zur Ergänzung der verschiedenen Teilbereichsprogramme,
  • mangelndes Interesse der Selbstverwaltung der Woiwodschaft an der Erhaltung und Förderung ländlicher Bereiche und die Vernachlässigung regionalbezogener Politik.

Der Eintritt in die EU hat die Auflösung landwirtschaftlich genutzter Flächen beschleunigt (in der Woiwodschaft Oppeln geht der Prozess zu Ende). Durch die Aufgabe der Landwirtschaft stellen sich in Polen für die Bevölkerung im Vergleich zum Westen die Lebensbedingungen schlechter dar (diese Veränderungen verzogen sich in West-Europa vor etwa 30 Jahren). Das Potential der polnischen Dörfer ist geringer, die Infrastruktur ist unvollkommener und ist weniger effektiv, die bereitstehenden Mittel zur Entwicklung und Revitalisierung sind unvergleichbar kleiner, und die Herausforderungen unvergleichbar größer.

Das polnische Dorf der Zukunft wird von Landflucht gekennzeichnet, verursacht durch den Wegzug insbesondere junger Menschen auf der Suche nach Arbeit und verbesserten Lebensbedingungen in die größere Städte und nach Westeuropa. Dieser Prozess ist, da der Anreiz Fähigkeiten herauszufordern und sein Können unter Beweis zu stellen, nicht aufzuhalten ist. Unter diesen Voraussetzungen wird sich das polnische Dorf nicht entwickeln können oder gar aufgegeben werden.

Wird das Dorf überleben können? Die Antwort ist ja, unter der Voraussetzung, dass man dem derzeitigen Prozess gesteuert und die Bedingungen zur Rückkehr fördert. Das Dorf kann ein Ort sein, in dem sich die Menschen, die durch das jahrelange Pendler Dasein erschöpft haben, durch strukturelle Veränderungen adäquate Lebensbedingungen schaffen können. Durch die weltweite Vernetzung durch das Internet wäre das Dorf der ideale Lebensraum für Freiberufler, beispielsweise Architekten, Designer, Finanzberater. Die Dörfer bieten die Möglichkeit Zivilisationsmüden, alternative Lebensformen Bevorzugenden, sowie demjenigen, die ihren Lebensabend in vertrauter Umgebung verbringen möchten, ideale Lebensbedingungen. Eine verlässliche Schätzung der Einwohnerzahl und Zahl der Berufstätigen lässt sich auf Grund von Landflucht und temporärer Fluktuation nicht ermitteln. Durch die og. Entwicklungen werden die Einwohner gezwungen neue Organisationsformen zu entwickeln. Das Dorfgemeinschaftshaus in seiner ursprünglichen Bedeutung wird ersetzt durch ein multifunktionales Aktionszentrum und Schulen auf computergestützten Unterricht ausgerichtet.

Wodurch lässt sich ein positives Szenario schaffen? Wodurch kann sich das Dorf gegenüber der Stadt profilieren?
Ich sehe keine grundlegende Veränderung der Infrastruktur als erforderlich an, sondern vielen reicht ein Minimum an Standards aus. In den nächsten Jahren stehen keine Mittel zur Verfügung um die Standards der Dörfer dem westlichen Niveau anzugleichen, in diesem Wettbewerb steht das polnische Dorf auf verlorenem Posten. Auch der Arbeitsmarkt kann dieses Problem nicht relativieren, da die Bedingungen hier zunehmend schwieriger werden. Eine Chance im Wettbewerb zwischen Stadt und Dorf besteht für Letzteres nicht in den materiellen Faktoren, sondern in dem Gemeinschaftsgefühl und der Identifikation.

Dazu 3 Faktoren:

  • Gemeinschaftsgefühl,
  • Verbundenheit mit der natur und dem kulturellen Erbe,
  • Heimatverbundenheit.
Die Gestaltung eines individuellen Umfeldes ist in der Stadt schwieriger zu erreichen. Durch die beiden erstgenannten Faktoren erhöht der Dorfbewohner die Möglichkeit einen Bezug zu gewachsenen Strukturen herzustellen wie: Naturverbundenheit und sozio-kulturelle Identität. Der reiz der Sache liegt in der Einfachheit, damit können ungenutzte Potentiale freigesetzt werden. Diese Potentiale kämen der Entwicklung zu einem lebendigen Dorf zugute, entsprechend des Konzepts eines thematisierten oder eines kooperativen Dorfes wie von mir in einem Artikel „10 Jahre Dorferneuerung – der Weg zum Ziel“ dargestellt wurde. Die Zukunft des Dorfes ist nur zu sichern durch Wahrung zwischenmenschlicher Kontakte. Grundlage für den Erhalt dörflicher Gemeinschaft ist der mentale Aspekt.

Zum Schluss meiner Ausführungen lassen Sie mich noch ein Wort bezüglich Dorferneuerung in der gegenwärtigen Situation anmerken. Es gibt keine Zweifel, dass im Zuge der Globalisierung nach derzeitigen Erkenntnisstand die Attraktivität und Bedeutung des Dorfes und des ländlichen Raumes allgemein Zustimmung findet, aber es gibt auch keine Zweifel, dass die technische Entwicklung und die gesellschaftlichen Veränderungen auch zukünftig außerhalb des ländlichen Raumes stattfinden. Folgender Schluss ist zu ziehen: Stadt und Dorf müssen nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern im Rahmen der Globalisierung gleichberechtigt Dorf-Stadt-Welt. Das Dorf mit seinen unverzichtbaren Reservoire an Werten und Gütern kann als Rückzugsort angesehen werden. Das Dorf der Zukunft wird also ein Dorf der Ergänzung. Das Finden und Nutzen der Bereiche dieser Ergänzung kann eine Perspektive für die Dorferneuerung sein und als Instrument, das die Zukunft des Dorfes gestaltet gelten und der Erhalt und die Kultivierung des polnischen Dorfes stellt bei der kulturellen Verschiedenheit Europas ein wichtiges Erbe dar.

 

Holger Magel, Präsident des UN-Habitat Professionals Forum

 

Ressourcenreich(er) ländlicher Raum.

Plädoyer für ein nachhaltiges Landmanagement und eine aktive Bürgergesellschaft

 

Zukunftsraum oder unerfüllter Zukunftstraum?

 

Blaise Pascal hat einmal gesagt: „Nur weil wir die Gegenwart nicht recht zu erklären und zu erforschen verstehen, bemühen wir uns geistreich um die Einsicht in die Zukunft.“ Das ist es wohl nicht, warum wir Landentwickler, Dorferneuerer oder neuerdings auch Experten der Ländlichen Entwicklung so viel und so gerne von der Zukunft, vom Zukunftsraum oder gar Zukunftstraum ländlicher Raum reden.

 

Natürlich wissen wir, wie es aussieht um die ländlichen Räume in Europa und auf der Welt, selbstverständlich wissen wir von ihren gegenwärtigen großen Gefährdungen und ihren gewandelten und unveränderten Realitäten. Es muss also etwas anderes sein, warum und was uns seit Jahrzehnten immer wieder über die und von der Zukunft der ländlichen Räume sprechen und schreiben lässt. Ist es ein sich und andere befeuernder Optimismus gemäß dem Motto „Wer nicht den Mut hat zu träumen, der hat nicht die Kraft zu handeln?“ oder ist es ein bewusstes Dagegenhalten, weil man sieht, dass global und kontinental Vieles in Richtung Urbanisierung, Metropolisierung und Bildung von europäischen Städtenetzen läuft, was aus politischer, ökonomischer und auch wissenschaftlicher Sicht vielfach als unaufhaltsam angesehen und zumindest innerlich längst akzeptiert wird.

 

Seit Jahrzehnten nun hören wir also die Botschaften vom ländlichen Raum als „Lebensraum der Zukunft“, vom „Zukunftsraum ländlicher Raum“, wie gerade eben wieder von Markus Holzer oder, so ein Buchtitel von Alois Glück und mir, vom „Das Land hat Zukunft“… All das hören wir fast wie seinerzeit das biblische Volk vom gelobten Land und fragen uns, wann wird das Realität nicht nur für einige eher wohlhabende oder kinderreiche Stadtflüchtlinge, sondern für möglichst viele? Wenn man die gewandelten Realitäten betrachtet, scheint es, dass wir weiter denn je davon entfernt sind. Immer öfter wird nämlich darüber gesprochen, ob und wie lange noch wir es uns z.B. in Deutschland leisten können, überall im Lande, also auch im Oderbruch oder in der Uckermarck für gleichwertige Lebensbedingungen sorgen zu wollen, immer deutlicher wird, dass mit dem Wegbrechen hoher Agrarquoten in Osteuropa leider auch Arbeitsplätze, Lebensstandard und die Jugend für den ländlichen Raum verloren gehen, von den Problemen in Afrika oder Asien, mit denen ich ständig im Rahmen des Habitat Professionals Forum oder auch im Rahmen meines internationalen Master Studiengangs Land Management and Land Tenure an der TU München konfrontiert bin, gar nicht zu reden.

 

Und natürlich stellt sich dabei auch mir sehr oft die Frage, ob das ein aussichtsloses Rudern gegen den Trend, gar ein Kampf gegen Windmühlen ist, natürlich erfassen einen immer wieder Zweifel, ob dieser Einsatz  für die ländlichen Räume, für die Erhaltung und Wertschöpfung ihrer Ressourcen und Potenziale, für ihre Menschen und ihre natürlichen Schätze nicht aussichtslos ist – überdies wenn einem mehrfach widerfährt, dass die sog. „große Welt“ sich nun vor allem auf die Städte stürzt und gestürzt hat. Erinnern Sie sich noch an die Botschaft des Weltstädtekongresses Urban 21 in Berlin? An das was Bundeskanzler Schröder formuliert hat: Die Zukunft gehört den Städtern! Hätte es im Rahmen des diesjährigen Weltarchitekturkongresses in Istanbul nicht wenigstens den kleinen weitgehend unbeachteten Vortrag über „The proto sustainable Chinese village as Generator of the future Chinese city“ gegeben, wäre ich ziemlich verzweifelt heimgefahren, enttäuscht über das Nicht-Interesse eines wichtigen Berufsstandes an der zumindest zu diskutierenden Unverzichtbarkeit einer Balance zwischen Stadt und Land. Sixtus Lanner, der bereits in den 70er Jahren das Land-Thema popularisierte, hat immer wieder den ehemaligen französischen Premierminister Edgar Faure zitiert: „Wenn das Land nicht mehr atmet, ersticken die Städte.“ Und ich habe dieses Zitat längst auch chinesischen Politikern und Kollegen vorgehalten, die nun – endlich – sich um die gefährdeten ländlichen Regionen im Westen des „Reiches der Mitte“ kümmern wollen. Dieses „Reich der Mitte“ ist nämlich in großer Gefahr, aus der Balance zu geraten. Dieselben chinesischen Kollegen hören mir nun selbst leidgeplagt aufmerksamer als früher zu, wenn ich aus Hans Sedlmayrs unvergessenem Meisterwerk „Verlust der Mitte“ (Sie merken die Parallelität) die tausend- und millionenfach erwiesene Wahrzeit zitiere:

 

„Die Erde, von der er lebt, zwingt den Menschen einzusehen, dass gewisse Formen seines Denkens und Handelns zerstörerisch sind und zur ´Verwüstung´ im buchstäblichen Sinne führen. Das anorganische, mechanische Denken wird durch die Erde selbst widerlegt…“

 

Vielleicht müsste ich aber nicht nur chinesischen oder UN-Spitzenvertretern z.B. in Nairobi, sondern auch deutschen und europäischen Meinungsführern aus den Ballungszentren, aus Wirtschaft und Wissenschaft einen weiteren, ebenfalls überaus seherisch begabten österreichischen Wissenschaftler vorhalten, nämlich Prof. Johann Millendorfer: Er hat nicht nur die berühmten LILA-Prinzipien geprägt, sondern vor allem von der „Nachfrage nach Bäuerlichkeit“ gesprochen, wobei er Bäuerlichkeit als eine Grundhaltung „bewahrender Progressivität“ bezeichnet hat und in der einerseits bewahrende Werte wie Glaube, Familie, positive Einstellung zu allem Lebendigem, „Kinder und Rinder“, schonende Behandlung des Bodens, Beständigkeit, Bejahung des Heimatortes etc. ebenso Platz haben wie andererseits progressive Lerneffizienz aufgrund ständigen Umgangs mit land-typischen komplexen lebenden Organismen und Strukturen.

 

Millendorfer sprach vor rd. 20 Jahren von der Nachfrage nach Bäuerlichkeit (die in Österreich ungleich „gesellschaftsfähiger“ ist als anderswo) und wurde vielfach missverstanden angesichts doch so offensichtlich unverminderten Bauernsterbens oder rückläufiger Bedeutung von allem Agrarischen. Er hatte aber im Kern recht wie im Übrigen auch mit seinem frühen Verweis auf das Aufkommen des 6. Kondratieff-Zyklusses mit dem sowohl innovativen wie auch ökonomisch bedeutsamen Streben nach Sinn, nach seelischer und körperlicher Gesundheit. Vielleicht würde Millendorfer angesichts unserer heutigen Krisen im Gesundheitswesen und ihrer völlig unzureichenden Bewältigungsstrategien darauf hinweisen, was das einzig Richtige wäre: Nämlich in die Gesunderhaltung zu investieren.

 

20 Jahre nach Millendorfers Nachfrage nach Bäuerlichkeit sollten wir heute besser von der Notwendigkeit des Ländlichen  sprechen und hierbei an all die reichlich gegebenen physischen und immateriellen Ressourcen und Potenziale denken, die die ländlichen Räume und ihre Menschen auch unter gewandelten Agrarverhältnissen und -strukturen nach wie vor prägen, beeinflussen und leiten. Wenn die Notwendigkeit des Ländlichen – in englisch wohl von countryside – und dessen Ressourcen begriffen sind, kommt die Nachfrage von selbst, wie sie z.B. auf dem Tourismus- , hier im speziellen auf dem Gesundheitstourismussektor längst eingesetzt hat.

 

Nicht nur die „ökologischen Fußabdrücke“ städtischer Zentren, aber diese ganz besonders ,zeigen, dass die Stadt das Land braucht, oft ver- und aufbraucht, zuweilen sogar aus- und leersaugt. Das Ergebnis in vielen Ländern unserer Erde ist desaströs: Die Städte selbst werden größer und größer, immer unregierbarer und chaotischer; Slums, Armut, Kriminalität, Krankheiten und himmelschreiende Ungerechtigkeiten prägen die großen Städte dieser Welt wie umgekehrt in den ländlichen Räumen leere und überalterte Dörfer zurückbleiben und in ihrer Trostlosigkeit und fehlenden Kraft für endogene Entwicklungen den Auftakt für einen weiteren „Circulus vitiosus“ bilden.

 

Faire Partnerschaft zwischen Stadt und Land

 

Was wir dringend brauchen, ist gegenseitige Achtung und Anerkennung im Geiste einer fairen Partnerschaft von Stadt und Land. Es darf hierbei kein oben und unten, kein hierarchisches Gefälle geben. Natürlich braucht das Land die Dynamik und Kraft der Städte, in „fachchinesischer“ Sprache  den ökonomischen und kulturellen Bedeutungsüberschuss der Städte, vor allem deren Märkte, Infrastrukturen und Arbeitsplätze, aber das darf nicht zu einer Attitüde von einseitigen Abhängigkeiten und Überlegenheiten führen. Auch nicht zu der Geisteshaltung: Der einzig sinnvolle Zukunfts-, Innovations- und deshalb auch Investitionsraum sind die Städte!

 

Vieles würde das schlechte Verhältnis zwischen den städtischen und ländlichen Kommunalen Spitzenverbänden verbessern, wenn auch endlich anerkannt würde, wie notwendig der ländliche Raum, wie notwendig ländliches Denken, kurzum das Ländliche gerade auch für die Städte(r) und für die Gesamtgesellschaft sind. Ländliche Räume, ländliches Denken oder das Ländliche basieren im Sinne von Johann Millendorfer (dessen Nachfolger im Auftrag des Bayer. Landwirtschaftsministeriums die Werte und Ressourcen der ländlichen Räume ökonomisch erfasst und kapitalisiert haben) auf spezifischen, vielfach unser Überleben sichernden und viele städtische Probleme lösenden Ressourcen, die das Wort vom „Ressourcenreich ländlicher Raum“ bzw. vom ressourcenreichen Land mehr als rechtfertigen. Diese Ressourcen, Schätze, Werte, Potenziale oder Charakteristika sind im Verlaufe der geistig sehr stürmischen Dorferneuerungsbewegung in den 80er und 90er Jahren vielfach beschrieben worden; selbst die eher nüchtern formulierenden Europäische Kommission und der Europarat haben nach ihrem Eintritt in die Ländliche Raum- sowie Dorferneuerungsbewegung Anfang der 90er Jahre immer wieder diese Ressourcen, diese unverwechselbaren ländlichen Charakteristika beschrieben. Und sie sind „geerdet“, operationabel ,praktikabel gemacht worden.

 

Es war ein kolossaler Fortschritt, der Franz Fischler zu verdanken ist, dass sich die europäische Sicht der ländlichen Entwicklung – soweit es finanzpolitisch überhaupt möglich war – vom anfangs zu agrarischen weiterbewegt hat zur allseits und allzeit existierenden kommunalen Ebene und Sicht. Das ist wichtig und richtig, denn hier auf lokaler Ebene spielen sich anschaulich und konkret Leben, Wohnen, Arbeiten, Bilden und Erholen ab, hier werden die Ressourcen benutzt, gepflegt, verbraucht und geschaffen! Auf diese Gesamtheit von für ihren Lebensraum gesamtverantwortlichen Kommunen und Bürgern müssen wir uns stützen, wenn es um Maßnahmen zur Behebung von Schwächen und um die Begegnung von Gefährdungen geht.

 

Im Dorf bin ich universal

 

Am schönsten und komplettesten hat wohl Leopold Kohr das „Ressourcenreich ländlicher Raum“ beschrieben. Ich möchte ihn zitieren, um der Gefahr einer oberlehrerhaften  (im Übrigen x-fach wiedergegebenen )und dann trotzdem lückenhaften Aufzählung einzelner Ressourcen zu entkommen. Der Salzburger Philosoph der kleinen Einheit und große Freund der Dorferneuerung hat gesagt:

 

„Im Dorf höre ich auf Provinzler zu sein. Im Dorf bin ich Universalist.“

 

Universalist –so verstehe ich ihn- in einem komplexen Kosmos, in einer ganzheitlichen Lebenswelt von Menschen, Tieren, Pflanzen mit allen damit verbundenen konkret spür- und formbaren Lebensformen, Lebensqualitäten und natürlichen Kreisläufen.

 

Dieser „Kosmos des Ländlichen“ bietet aber nicht nur den im ländlichen Raum lebenden Menschen ein hohes Maß an Ressourcen und Be-Reich-erung, sondern auch – und das war ja gerade die Botschaft Millendorfers und das muss neuerlich die Botschaft dieser Europäischen  Arge und dieses Kongresses sein – den Städten. All dies ist gefährdet, weil es  weniger denn je einen autonomen ländlichen Raum gibt, weil vor allem die Balance nicht mehr stimmt. Dann auch helfen die schönsten Lobpreisungen und Schwärmereien über das Leben auf dem Lande, über Eigenhilfe, Naturnähe, Überschaubarkeit, Nachbarschaft ,Kreislaufdenken  etc. nicht weiter. Gefragt sind die grundlegenden ökonomischen Strukturen und Rahmenbedingungen! Immerhin hat die  bayerische Regierungspartei bei ihrem jüngsten Kongress zum ländlichen Räum trotz bedrohlicher demographischer Daten und alarmierender Abwanderungstrends in einigen nord- und ostbayerischen Regionen erklärt, dass sie an der Entwicklung aller ländlichen Räume festhalten wolle. Abwanderung –so der einflussreiche Klubobmann der CSU Joachim Herrmann – dürfe nicht als „unabänderliches Schicksal“ hingenommen werden. Herrmann verweist dabei auf die 70er Jahre, als man schon einmal von (damals noch) Bonner Seite angesichts erdrückender negativer Trends ganze Landstriche wie z.B. den Bayerischen Wald „passiv sanieren“ wollte und als die Bayerische Staatsregierung mächtig und letztlich erfolgreich dagegen hielt.

 

Der Geist (und die Mentalität) verändert die Welt

 

Hier galt, was wohl überall gilt: „Der Geist, die Einstellung verändert die Welt.“

 

Wenn wir, angesichts natürlich unübersehbarer demographischer, finanzieller, struktureller und sonstiger Probleme, die wir mit dem flotten Slogan „ärmer, älter, weniger und bunter“ zu umschreiben versuchen, anfangen, zu resignieren und uns auf die sog. nicht beeinflussbaren Sachzwänge wie auf die heutzutage allzugern benutzte Globalisierung zurückzuziehen, dann haben wir schon verloren. Es ist eben ein großer Unterschied , sich infolge demographischer Entwicklung bewusst und pro-aktiv auf vernünftige Maßnahmen z.B. des Stadt- oder Dorfumbaus oder auf die Anpassung bzw. Neukonzeptionierung von Wohn- und Infrastrukturen zu konzentrieren oder sich resignativ und seufzend mit der Ausblutung und Ausdünnung ganzer Regionen zufrieden ,d.h. geschlagen zu geben und dies dann wie folgt zu umschreiben: „Die… Mittel können dann teilweise dazu verwendet werden, in Regionen ohne erkennbare Entwicklungschancen die Mindestversorgung aufrecht zu erhalten…“

 

Darüber und auch über die konkreten fachlichen Herausforderungen wird bei diesem Kongress  intensiv zu reden sein. Dieses angesprochene notwendige sowohl realistische wie auch optimistisch-aktive Eingreifen gehört für mich zum Bestandteil jedes Guten Regierens. Zum „Guten Regieren“ gehört für mich auch das Herbeiführen eines gedeihlichen Miteinanders von Stadt und Land im Sinne des weltberühmten Freskos von Ambrogio Lorenzetti im Rathaus von Siena anstelle einer Tolerierung von Darwinismus und Verdrängungswettbewerb. Es wäre schön, wenn diesbezüglich seitens der EU sehr genau oder noch strikter auf diesbezügliche programmatische Schritte und Weiterentwicklungen in den Länder- und Regionalprogrammen geachtet würde.

Zu „Good Governance“ gehören schließlich – und dies besonders im Hinblick auf die gebotene Stärkung der ländlichen Räume und zur bewussten Wahrnehmung und Nutzung ihrer reichlichen Ressourcen – einerseits die noch viel stärkere Mobilisierung ihrer bürgerschaftlichen Potenziale – denn mit Staat und Wirtschaft alleine bewältigen wir die Zukunft immer weniger – und andererseits das bewusste Vorhalten und zur Verfügung stellen von Landmanagementkompetenzen und -strukturen im Sinne der „Quadrophonie von aktivierendem Beraten, Planen, Ordnen und Bauen“.

 

Wir alle wissen und sind auch stolz darauf, dass gerade die Land –typischen Maßnahmen der Dorferneuerung und Landentwicklung besonders leuchtende Beispiele von Bürgerbeteiligung, Bürgerengagement und Bürgergesellschaft sind und sogar Maßstab waren für Agenda 21 Prozesse und Stadterneuerung.

So sehr ich einerseits ein weiterhin notwendiges Erstarken einer Aktiven Bürgergesellschaft propagiere, so sehr bin ich zugleich ein Verfechter kompetenter staatlicher Institutionen mit dem Auftrag zur Wahrnehmung eines nachhaltigen Landmanagements, das natürlich weit mehr ist als nur innerhalb vorgegebener mehr oder weniger agrargeprägter Förderschienen und Programme zu handeln. Landmanagement ist letztlich die bewusste Sorge um Lebensqualität und Lebensstrukturen im ländlichen Raum basierend auf allen Tätigkeiten im Sinne der vorerwähnten Quadrophonie auf und rund um unsere begrenzte Ressource Grund und Boden. Dazu brauchen wir Institutionen, die im Auftrag von uns allen und als Partner der Bürger und Wirtschaft handeln. Prof. Michael Steiner vom Joanneum-Research-Center in Graz hat dazu unmissverständlich gesagt:

 

„Staatliches Eingriffen legitimiert sich an der Notwendigkeit, einen Wandel zu unterstützen, der aus sich heraus nicht oder nicht schnell genug stattfinden würde.“

 

Diese Notwendigkeit sehe ich ohne Zweifel trotz oder neben Potenzialen zur Eigenentwicklung, trotz Bürgergesellschaft und der angestrebten „neuen Verantwortungsgemeinschaft von Staat und Bürgern“ im ländlichen Raum klar gegeben. Der Staat (und dazu zähle ich auch die EU) ist weiterhin gefordert; er muss von sich aus den Wandel pro-aktiv unterstützen.

 

Steiner fordert aber noch etwas sehr Wichtiges, was bei den hinter uns liegenden oder gegenwärtigen Verwaltungsreformen m.E. leider viel zu wenig bedacht worden ist:

 

„Eine Stufenordnung der Politik bedeutet eine Zuordnung von Aufgaben an diejenigen Institutionen, die die Macht haben, diese auch durchzusetzen sowie eine entsprechende Assignation von Zielen und Instrumenten.“

Theres Friewald-Hofbauer (Kongressorganisatorin und -moderatorin), Wien; LH Erwin Pröll (Vorsitzender der Europäischen ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung), St. Pölten; Marija Markes, Slowenien; Landesrätin Doraja Eberle, Salzburg; Holger Magel, München

Zahllose europäische Gemeinden und Dörfer sind Vorbilder für die Nutzung ”saube-rer”, erneuerbarer Energien. Das zeigen die zahlreichen Beiträge der neuesten Ausgabe der Zeitschrift ”Dorferneuerung international”, die die aktualisierten Referate des 4. Europäischen Dorferneuerungskongresses in Uherské Hradiste, Tschechien, zum Thema ”Energie im ländlichen Raum” enthält.

”Gerade jetzt, wo die USA der Kyoto-Vereinbarung den Rücken kehren, muss sich Europa verstärkt für den Klimaschutz einsetzen”, konkretisiert der Vorsitzende der Europäischen ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung, Dr. Erwin P r ö l l , in seinem Grundsatz-beitrag. Mut dazu machen die zahlreichen Projekte aus Tschechien, Schweden, Dänemark, Luxemburg, Deutschland und Österreich, die in der neuesten Ausgabe der von der ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung herausgegebenen Zeitschrift ”Dorferneuerung in-ternational” beschrieben werden.

  • Über gelungene Vorhaben, die zur Nachahmung motivieren – von Biomasse-Heizungen über Strom und Wärme aus Biogas bis hin zu kommunalen Windkraftanlagen – wird berichtet.

Soziale Komponenten solcher Projekte werden ebenso beleuchtet wie Vorgangsweisen bei der Durchführung.

  • Weiters werden mit Mureck in der Steiermark und Växjö in Schweden zwei Gemeinden vorgestellt,  die eine autarke Energieversorgung anstreben.
  • Grundlegendes über die Energie- und Klimasituation, Berichte über neue Möglichkei-ten der Energiepolitik im ländlichen Raum und über Fördermaßmahmen in den ein-zelnen Ländern wie z. B. Dänemark ergänzen diese hochaktuelle Publikation.

Neben den Energiethemen enthält das Magazin News aus der europäischen Dorferneue-rungsfamilie. So wird über
– die Dorferneuerungsexkursion 2001,
– die Konferenz ”rural 21” in Potsdam,
– über das Dorf im Einflussbereich von Großstädten sowie
– über Neuestes aus der Dorferneuerung in Bayern und Sachsen berichtet.
Außerdem wird bereits der Dorferneuerungspreis 2002 angekündigt und über Kriterien, das Procedere und Termine informiert.